Original von h.ausdemharz
Ich wollt nur mal ein dickes Lob an die beiden "Streithähne" yobo und BM hier hineinwerfen: Prima, wie ihr eure Überhitzung selbst abgekühlt habt. Eurer inhaltsschweren Debatte zu folgen, hat mir das Sommerloch bislang ein wenig versüßt - in dieser Form lerne ich gerne und kann mir meine eigene Meinung bilden. Also noch einmal ganz ohne Ironie, Sarkasmus oder Häme: Respekt und Danke. - Musste mal gesagt werden.
Auch ich finde es super, dass die zeitweise emotional (und sicher auch persönlich) geführte Debatte sich abgekühlt hat. Eigentlich habe ich recht viel Erfahrung mit dem Internet und auch mit Foren und doch habe ich den Punkt nicht beherzigt, dass derartigen Diskussionen ein wichtiger Aspekt fehlt: Wir kennen uns nicht persönlich und so fehlen wichtige Ebenen der menschlichen Kommunikation: Mimik, Gestik, Humor - die Persönlichkeit des Gegenübers überträgt sich einfach sehr schlecht.
Um weiterhin Freude am Austausch (auch in diesem Thread) zu haben, ist es m.E. wichtig, ab und zu mal Luft zu holen und sich selbst zu reflektieren und außerdem die Debatte wieder einzufangen und zu vereinfachen.
Wie die Diskussion gelaufen ist und momentan verläuft ist in jedem Fall geeignet, mich in dieser Community weiter wohl zu fühlen. Immerhin eint uns ein starkes gemeinsames Interesse.
*Wort zum Sonntag Ende* ;-)
Anstatt eines Verkehrsinfarktes, wie im Ruhrgebiet oder um dem Elbtunnel haben wir es in weiten Teilen Nord- und Ostdeutschlandes mit dem langsamen Ausbluten aller Angebote zu tun. Zugegebenermaßen hervorragende Fernstraßen und Autobahnen laden dazu ein schnell durch das Nichts zu rasen, dem stehen allerdings katastrophale Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen gegenüber. Einerseits fordert die Politik eine Arbeit aufzunehmen, bei der bis zu zweieinhalb Stunden tägliches Pendeln zumutbar ist. Familiäre Bindungen, Pflegeangebote, Präsenz von Ärzten und Geschäfte der Nahversorgung gingen in den letzten 10 Jahren vor die Hunde.
Was hat das mit Benzin zu tun? Immer mehr müssen ambulante, mobile Dienste die Versorgung der letzten Verbliebenen übernehmen. Ich arbeite in einem Landkreis, der so groß ist wie das Saarland. Um zur Kreisstadt zu gelangen, müssen manche Menschen bis zu 60 km fahren, um zur Kreisstadt zu gelangen. Zu meinem Rathaus muss ich fast zwei Stunden mit dem Bus fahren und zwei Mal umsteigen, bei einer Taktung des ÖPNV von 3 Stunden. Viele pendeln aus, nicht umsonst ist Sachsen-Anhalt das "Land der Frühaufsteher". Aber das ist keine Ost-Westdiskussion. Die Situation im niedersächsischen Hochharz ist eins zu eins dieselbe wie im Osten. Es ist mittlerweile völlig normal, dass Menschen für ihre individuelle Mobilität 30 bis 50 Prozent ihres Monatseinkommens einsetzen müssen. Das "Pillepalle-Fahrten" so quasi minimiert werden ist vollkommen richtig, allerdings möchte ich nicht verhehlen, dass soziale Kontakte dadurch natürlich auch leiden. Schließlich bedeutet Mobilität auch immer die Weitung des Horizontes und des eigenen Tellerrandes.
Wie Du weißt, kenne ich Deinen Landkreis gut. Und auch weiter Richtung Osten habe ich (angeheiratete) Familie. Tatsächlich ist die Situation katastrophal: eine Arbeitslosenquote von 30% in einigen Städten (und in manchen Landstrichen noch mehr) führen dazu, dass man lieber eine Arbeit annimmt, für die man 1-2 Stunden pro Weg im Auto sitzt, als gar nichts zu machen. Und das bei einem nach wie vor geringeren Verdienst für gleiche Arbeit.
Der ÖPNV wird weniger statt mehr. (Teil-) Privatisierung von Strecken führt dazu, dass unrentable Strecken entweder ganz entfallen oder so getaktet werden, dass nur ein Basisangebot übrig bleibt.
Hier ist die Diskussion unsinnig, ob wir mit neuen, spritsparenden Autos einen Teil der steigenden (und immer weiter steigenden) Benzinkosten vermeiden könnten, die Leute haben zumeist keine Möglichkeit, an modernste Motorentechnik zu kommen weil sie schlicht nicht bezahlbar ist.
In Einzelfällen zeigt sich stets die Grenze des ganzen statistischen Rumgerechnes. Härtefälle gibt es reichlich und die trifft jede Benzinpreisrunde und es wird immer schlimmer. Langfristig wird das überdies zu einer weiteren Urbanisierung führen, was die "Übriggebliebenen" immer weiter rein reißt und deren Situation weiter verschärft.
Es wäre Aufgabe der Politik, solche Ungerechtigkeiten abzubauen. Und zwar nicht in Form von Almosen, sondern mit sozial gerechten Steuermodellen und Wahrnehmung der Pflicht, einen funktionierenden ÖPNV als Grundversorgung anzusehen, auf den die Menschen ein Recht haben.
Ich bin der Meinung, man müsste Anreize schaffen, den ÖPNV atttaktiver zu machen. Komischerweise ist dies im Ballungsraum Köln/Bonn schon relativ weit. Es gibt den Verkehrsverbund Rhein/Sieg, der den Großraum Köln/Bonn und umliegende mit einem bezahlbaren und vernetzten Angebot verbindet. Die Arbeitgeber haben die Möglichkeit, ihrer Belegschaft Jobtickets anzubieten, so dass die Sache bezahlbar bleibt.
Die Nachteile sind, dass man durch Umsteigen und ungünstige Taktung deutlich länger braucht als mit dem Auto, wenn man "an den Rändern" wohnt und das eine Menge passieren kann (Ausfälle, verpasste Anschlüsse, technische Defekte, Streiks, "Personenschäden",...). Trotzdem leben wir dies bezüglich im Paradies - warum also mit dem Auto fahren?
Parkraum in den Städten ist knapp (und muss meist aus eigener Tasche bezahlt werden), viel Zeit und Geld wird im Stau verplempert, die Kosten sind erheblich höher als via ÖPNV, außer in absoluten Randbezirken ist die Taktung akzeptabel.
Trotzdem nimmt der Auto-Verkehr von Jahr zu Jahr zu. Im Stau links und rechts siehst Du immer größere, immer teurere Autos - in allen sitzt EIN Mensch. Ich bin einer von ihnen.
Warum also nehme ich das auf mich? Es ist in erster Linie meine Bequemlichkeit. So kann ich losfahren, wenn ich fertig bin und nicht, wenn der Bus kommt. Ich bin schneller (traurigerweise wirklich, trotz Stau weil die Taktung subotimal ist), ich kann Einkäufe auf dem Weg zur Arbeit erledigen und muss nicht noch einmal los...
Ich bin eigentlich das Musterbeispiel einer Umweltsau, die man mit gestiegenen Mobilitätskosten zum Umdenken bewegen müsste.
Leute, die zum Pendeln gezwungen sind, sollte man hingegen fair steuerlich entlasten. Die Fahrt zur Arbeit sollte mit kostendeckenden Sätzen erstattet werden. So könnte und sollte man Härten abfedern.
Und doch - da komme ich wieder zu meinem Lieblingsthema - die Automobilindustrie muss gezwungen werden, endlich die richtigen Weichen zu stellen. Und zwar auf weniger Verbrauch. Ich bin schon ein wenig älter und ich kann mich gut erinnern an die Rückzugsgefechte der Automobilhersteller bei der Kat-Einführung. Das sei technisch nicht möglich, würde 2000-3000 DM Aufpreis kosten, das würde beim Kleinwagen schon mechanisch nicht passen (zu groß)...
Die Automobilhersteller KÖNNEN 1 Liter-Autos bauen. Es muss ein breiteres Angebot geben, an kleinen, mobilen City-Cars (Zweisitzer, geringes Leergewicht), Leichtbau...
Und wenn sie es nicht freiwillig tun, muss die Politik dafür sorgen.
yobo